Zur Durchsetzungsintiative wurde schon viel gesagt und geschrieben. Rechtsprofessoren sind empört und haben sich auch deutlich geäussert. Ich frage mich jedoch, ob die Bevölkerung verstanden hat, was eigentlich an der Durchsetzungsinitiative so empörend ist, was hier auf dem Spiel steht.

Die Ausschaffung krimineller Ausländer, das steht seit Jahrzehnten im Gesetz. Sie wird von einem Richter ausgesprochen. Und dieser soll dabei, wie in jedem anderen zu entscheidenden Fall auch, nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vorgehen. Ebenso wie das Prinzip von Treu und Glauben ist die Verhältnismässigkeit ein Grundpfeiler der Schweizer Rechtsordnung, ja aller Ordnungen, die die Bezeichnung „Recht“ verdienen. Auf der Waage von Justitia werden verglichen, die Schwere der Tat mit allen Umständen auf der einen Seite und die Schwere der Sanktion auf der anderen Seite.

 

Die Durchsetzungsinitiative verbietet dem Richter jegliches Abwägen. Er soll gar kein Ermessen mehr haben sondern – wie eine Maschine – automatisch die Ausschaffung verhängen. Und dies in jenen Fällen, welche zufällig im Initiativtext aufgelistet sind. Der in der Schweiz geborene jugendliche Italiener, der sich ein paar hundert Franken bei der Sozialhilfe erschwindelt hat, müsste demnach automatisch ausgeschafft werden. Der russische Oligarch, der sich des Steuerbetrugs und der Bestechung in Millionenhöhe schuldig gemacht hat, dürfte hier bleiben, weil diese Delikte im Initiativtext nicht erwähnt sind. Das ist reine Willkür. Justizia

Uns allen ist klar, dass es gerecht wäre, in den genannten Beispielen umgekehrt zu entscheiden. Um diese Gerechtigkeit zu erreichen, müssen wir unseren schweizerischen Richtern den Ermessensspielraum lassen, so dass sie abwägen und Recht sprechen können

Nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative hat das Parlament alle Verschärfungen in die Gesetze hineingeschrieben, welche im Rahmen der Beachtung der Verhältnismässigkeit möglich sind. Bei der Ablehnung der Durchsetzungsinitiative treten diese Verschärfungen in Kraft.

Die meisten Ausschaffungen scheitern übrigens nicht an den Richtern, sondern im Vollzug, weil sich z.B. die Heimatstaaten weigern, die Auszuschaffenden zurück zu nehmen. Das sind Probleme, die nicht das Volk mit dem Stimmzettel lösen kann, sondern nur die Diplomatie mit Verträgen.

dieser Artikel erschien am 4. Februar 2016 im Anzeiger von Wallisellen