Ob ein Parlament eingeführt wird oder nach wie vor Entscheidungen an der Gemeindeversammlung gefällt werden, darüber sinniert derzeit Wallisellen. Am Montagabend wurden zum ersten Mal die Pro und die Kontra eruiert.

Wie soll es mit Wallisellen politisch weitergehen? An der Generalversammlung vom Montagabend wurde genau diese Frage heiss diskutiert. Bild: Archiv ZU

Eine Grundsatzfrage müssen die Walliseller Stimmbürger im nächsten März an der Urne beantworten: Wie wird die Gemeinde künftig organisiert sein? Soll das bisherige System mit der Gemeindeversammlung als Legislative bestehen bleiben? Oder ist es an der Zeit, dass Wallisellen mit seinen knapp 16 000 Einwohnern den Schritt zu einer Parlamentsgemeinde und einer repräsentativen Demokratie vollzieht?

Die Frage aufs Tapet gebracht hat eine Einzelinitiative im Sommer 2016. Am Montagabend hat die Arbeitsgruppe der Gemeinde nun erste Grundlagen zum Thema präsentiert.

Wenn der Fussballclub ein neues Feld haben möchte

Gemeindepräsident Bernhard Krismer und Schulpflegepräsidentin Anita Bruggmann hüteten sich davor, bereits Empfehlungen zu den Organisationsmodellen abzugeben. Vielmehr ging es darum, überhaupt einmal die Erwartungen zu klären und auf Chancen und Risiken hinzuweisen.

Denn die beiden Modelle unterscheiden sich stark. Und keines davon ist klar besser als das andere, das wurde am Montagabend schnell klar. Krismer wies zum Beispiel auf einen klaren Vorteil der Versammlung im Vergleich zum Parlament hin: «Man kann vorwärts machen.» Krismer sprach damit an, dass sich eine Entscheidung in einem Parlament schnell in die Länge ziehen kann. Bis ein Geschäft die verschiedenen Instanzen durchlaufen hat, dauert es oft deutlich länger, als wenn ein paar Stimmberechtigte an einem einzigen Abend ein Geschäft annehmen oder verwerfen.

«Ich kann nicht sagen, mit welchem Modell die Politik besser wird.»Andreas Ladner, Politologe

Dafür ist die Gemeindeversammlung im Vergleich zum Parlament anfälliger für die sogenannt selektive Mobilisierung. «Wollte der FC Wallisellen ein neues Fussballfeld haben und würde für dieses Geschäft an der Gemeindeversammlung 200 Mitglieder aufbieten, könnte er damit den Ausgang der Abstimmung stark beeinflussen», führte Krismer als Beispiel an. Glücklicherweise habe der FC Wallisellen diesen Effekt bisher aber noch nie ausgenutzt.

Es kommt nicht auf die Grösse der Gemeinde an

Die beiden Beispiele zeigen, dass die Diskussion über die zukünftige Gemeindeordnung komplex wird. Diesen Eindruck bestätigte auch Andreas Ladner im Restaurant Square, wo der Informationsabend stattfand. Ladner ist Politologe und Professor an der Universität Lausanne. Er untersucht das Thema Gemeindeversammlungen und Parlamentsdemokratie auf nationaler Ebene. «Von den 2244 Gemeinden in der Schweiz haben etwas mehr als 500 ein Parlament», führte Ladner aus. Dabei sind die meisten grossen Städte als Parlamentsgemeinde organisiert. Doch es gibt auch viele grosse Gemeinden, die noch als Versammlung funktionieren. Die Grösste davon ist Rapperswil-Jona mit knapp 27 000 Einwohnern. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es aber auch viele kleine Gemeinden, die schon mit wenigen hundert Einwohnern als Parlament funktionieren.

Die Grösse ist also nicht das entscheidende Kriterium. Viel mehr gehe es darum, sich zu überlegen, wie sich die Gemeinde selbst identifiziert und welche Erwartungen überhaupt an die Gemeindeordnung gestellt werden. Oft gehe man zum Beispiel davon aus, dass mit der Einführung eines Parlaments das Interesse an der Politik gesteigert werde. Oder dass die Wahlbeteiligung zunimmt. Tatsächlich sei aber kaum ein Unterschied zu bemerken. Ladner hat schweizweit unter Gemeindeschreibern eine Umfrage durchgeführt und festgestellt, dass das Interesse bei beiden Ordnungsmodellen etwa gleich tief ist. «Bei der Wahlbeteiligung hingegen kann in Parlamentsgemeinden ein Unterschied auf tiefem Niveau festgestellt werden.» Die Differenz ist jedoch gering: Bei den 1155 befragten Gemeinden lag der durchschnittliche Wert für die Wahlbeteiligung bei den Gemeinden mit Versammlungsdemokratie bei etwas über 40 Prozent, mit Parlament bei 50 Prozent.

Ladner näherte sich den beiden Modellen deshalb auch von demokratietheoretischer Seite an. «Als Vorteil für die Versammlung kann man anführen, dass sie für viele Menschen als Urform der Demokratie gilt.» Die Menschen würden damit noch heute gerne die Idee der griechischen Polis assoziieren, in welcher die Bürger die Politik im Stadtzentrum diskutieren. Für die Versammlung spreche auch, dass sie kostengünstiger sei. So werden die Kosten für den Parlamentsbetrieb zum Beispiel in Kloten auf 300 000 bis 500 000 Franken jährlich beziffert. In Wetzikon, der Zürcher Gemeinde die sich erst seit 2014 als Parlament organisiert, werden die Kosten auf bis zu 600 000 Franken geschätzt.

Dafür gehe man laut Ladner beim Parlament davon aus, dass die Politik von einem breiteren Kreis von besser informierten Stimmberechtigten bestimmt werde. Denn die Parlamentarier müssen sich mit einer Thematik eingehend befassen und dies oft über längere Zeit hinweg.

Auch würden Interessensunterschiede im Parlament aufgrund der Parteien besser zum Ausdruck kommen. Das macht sich nur schon bei der Sitzordnung bemerkbar. In einer Gemeindeversammlung ist es durchaus möglich, dass eine Partei ihre Mitglieder gezielt an verschiedenen Tischen verteilt, um den Eindruck zu erwecken, ein gewisses Anliegen werde von einer grossen Mehrheit getragen. Im Parlament sind die Gemeinderäte hingegen klar nach Parteien platziert. Und als dritten Punkt, der für das Parlament sprechen könne, erwähnte Ladner noch die Macht der Exekutive. Diese werde im Vergleich zu einer Versammlungsdemokratie beschränkt.

Damit schlug Ladner den Bogen zu den Schwächen der jeweiligen Modelle. «Eine Gemeindeversammlung ist für den Stimmbürger aufwendig», sagte Ladner. Man muss sich einen Abend freinehmen, um mitbestimmen zu können. Zudem sei die Versammlung nicht nur anfällig für die bereits erwähnte selektive Mobilisierung, sondern auch für Stimmungsmache. Gute Rhetoriker könnten eine Abstimmung an einer Versammlung massgeblich beeinflussen. Und schliesslich – und dieser Punkt wurde während des ganzen Abends immer wieder genannt – spreche eine Gemeindeversammlung nur einen bestimmten Teil der Einwohner an. Nämlich allen voran Senioren und Alteingessesene. Stark unterrepräsentiert sind dafür junge Einwohner und Neuzuzüger. Beim Parlament gab Ladner dafür zu bedenken, dass es eben nicht automatisch das Interesse an der Politik beflügle. Und vor allem, dass es nur in einer Gemeinde funktioniere, in welcher es aktive Parteien gebe, die ein solches Modell umsetzen können.

Automatisch besser wird die Politik in beiden Fällen nicht

Ein klar besseres Modell gebe es nicht, betonte Ladner. «Ich kann auch nicht sagen, mit welchem Modell die Politik besser wird.» Bei dieser Frage würde man alleine schon daran scheitern, Kriterien dafür zu definieren. Oder vereinfacht gesagt: Die Gemeinden in der Schweiz sind zu unterschiedlich, um sich alle über denselben Kamm scheren zu lassen.

Eine Diskussion über Pro und Kontra und die konkreten Details eines möglichen Parlaments fand am Montag noch nicht statt. Diese Debatte wird an einem Mitwirkungsanlass am 2. September geführt. Dort besteht auch die Möglichkeit, konkrete Ideen einzubringen. Die Grundsatzabstimmung findet dann im März statt. Gleichzeitig wird dann auch darüber abgestimmt, ob die Bildung einer Einheitsgemeinde ausgearbeitet wird.

Manuel Navarro 28.06.2017

für den Zürcher Unterländer